2019-02-08
Andrea Nahles hatte 2003 gegen Gerhard Schröders Agenda-Pläne gestimmt, sie aber später gegen Abschaffungsforderungen verteidigt. Jetzt, selbst SPD-Vorsitzende, hat sie die „Sozialstaat 2025“-Parole ausgegeben, und die SPD will am Sonntag und Montag auf ihrer Vorstandsklausur angeblich einen radikalen Kurswechsel beschließen.
Es ist Zeit für Trauma-Aufarbeitung und Lebensleitlinienanalyse durch die SPD.
Wolfgang-Hubertus Heil, einst überzeugter Anhänger der Reformpolitik Schröders, ist seit dem 14. März 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales und macht Dampf: Doch sein Vorschlag einer „Gerechtigkeitsrente” oder „Respektrente“ offenbart seine ganze Halbherzigkeit, die gleichzeig die Barmherzigkeitsmentalität von Politik schlechterdings kennzeichnet.
Der neue Rentenvorschlag bezieht sich vor allem auf jene Menschen in Deutschland, die wegen der Prekarisierung der Arbeits- und Einkommensverhältnisse (Einführung Hartz-IV) in Ost und West in zum Teil schlimme persönliche Verhältnisse gekommen sind. Arbeitslosigkeit und danach Hartz-IV- 1-Euro Jobs, Minijobs, Aufstockerjobs, Teilzeit oder Leiharbeit mit deutlichen Einkommensverlusten.
All dies mitverursacht durch die SPD.
Wer lange erwerbstätig war, so Heil, soll eine halbwegs auskömmliche Alterssicherung erhalten. „Lebensleistung verdient Respekt“, lautet seine pathetisch/anbiedernde Botschaft, „denn jemand, der jahrzehntelang hart gearbeitet hat, hat ein Recht darauf, deutlich mehr zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet hat.“ Als ginge es nur um soziale Flicken in Mangelsituationen.
In Wahrheit ist eine ganzheitliche Rehabilitation der ursprünglichen gesetzlichen Rentenversicherung (RV) nötig, damit es Rentengerechtigkeit statt „Gerechtigkeitsrente” gibt.
Entsprechend dieser Barmherzigkeitsmentalität zieht er bei 35 Jahren eine Grenze, ab der dieser Respekt gezollt werden soll. Wer 35 Jahre lang versicherungspflichtig erwerbstätig war, Kinder erzogen oder gepflegt hat, soll auf eine Grundrente hoffen dürfen, die mehr ist als „Placebo“-Politik. Die viel zitierte Friseurin mit Mindestlohn käme auf 961 statt 514 Euro, eine Krankenschwester mit zwei Kindern, die eigentlich nur 860 Euro Rente erhielte, könnte mit 1.100 Euro. – Na bravo!
Wer 35 Jahre lang versicherungspflichtig erwerbstätig war und keine auskömmlichen Rentenansprüche aufbauen konnte, ist 35 Jahre lang auch um ein auskömmliches Erwerbseinkommen betrogen worden. Und zwar staatlich sanktioniert: Wenn „Aufstocker“ z. B. staatlich alimentiert werden müssen, ist das in Wahrheit eine staatliche Subventionierung elender Arbeitgeber, die keine auskömmlichen Löhne bezahlen.
Als ich 1966 ein Praktikum in den USA verrichtete, gab dort bereits eine Mindestlohnregelung. Als ich 1976 in die Niederlande zog, gab es dort ebenfalls schon einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohnanspruch.
In Deutschland wurde er erst zum 1. Januar 2015 eingeführt. – Welch ein Skandal.
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Und nun zu Gerhard Schröder, dem AGENDA 2010-Papst:
“Das ist mein Leben, nicht eures.”
Gerhard Schröder, der nebst SPD als Bundeskanzler in der politischen Verantwortung für Konzeption und Ausführung der AGENDA 2010 steht, reagierte jüngst beleidigt auf die Kritik, dass er mit seinen Russlandjobs viel Geld verdiene. “Das ist mein Leben, nicht eures”, das müsse die Öffentlichkeit begreifen.
Doch ein Altkanzler ist nicht einfach mal Privatmann. Immerhin müssen die Steuerzahler bis an dessen Lebensende jährlich viel Geld für ihn auf den Tisch legen. Malocher hätten sich längst für eine Anschlussverwendung (Philipp Rösler) zum Jobcenter begeben müssen. – Nicht so Gerhard Schröder!
561.000 Euro waren es in 2017 Jahr allein für die Bezahlung der Mitarbeiter im Berliner Büro. Das geht aus einer Antwort des Bundeskanzleramts auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Als Altkanzler hat Schröder einen Anspruch auf ein Büro.
Zudem erhält Gerhard Schröder ein Ruhegehalt, das alleine für seine sieben Amtsjahre als Kanzler (1998 bis 2005) laut Gesetz rund 35 Prozent des Gehalts der derzeitigen Regierungschefin Angela Merkel (CDU) beträgt. Das sind damit 6.446 Euro im Monat. Hinzu kommen Bezüge für seine Zeit in der niedersächsischen Landesregierung und als Bundestagsabgeordneter. (Quelle: SPIEGEL ONLINE)
Zusätzlich zu seinen Renten als früherer Bundeskanzler, Ministerpräsident von Niedersachsen und Bundestagsabgeordneter, schätzte das “Manager-Magazin” bereits vor fast zehn Jahren seine jährlichen Einkünfte auf Millionenhöhe.
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Währenddessen war und ist der Besitzstandsklau, den er bei der breiten Bevölkerung mithilfe der AGENDA 2010 vorgenommen hat, allumfassend.
Allein die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse für die Umverteilung des seit 1960 nahezu gleichgebliebenen Arbeitsvolumen von 57 bis 60 (2017) Milliarden Arbeitsstunden und von ehemals 22 Millionen auf im November 2018 45,22 Millionen Arbeitnehmer hat eine gigantische Arbeitskraft- und damit auch Einkommensumverteilung bewirkt.
Der Anteil der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen ist seit 1998 in Westdeutschland von 76 Prozent auf 57 Prozent gesunken. In Ostdeutschland ging der Anteil von 63 Prozent auf zuletzt 44 Prozent zurück.
Analog veränderten sich die Renteneinkommen für ca. 22 Millionen Bürgerinnen und Bürger dramatisch, zumal der Deutsche Bundestag 2001 einen schleichenden Verlust unserer Renten von 20 Prozent bis zum Jahr 2030 bewusst gesetzlich festschrieb, den die um ihr Renteneinkommen geprellten Personen durch fragwürdige, von der Sozialdemokratie heiß gelobte Privatvorsorge ohne nennenswerte Zinserträge, kompensieren sollten.
85 Millionen Lebensversicherungen haben die Deutschen aktuell abgeschlossen. Auf ihre Spareinlagen erhalten sie keine Erträge mehr, weil die EZB die Finanzmärkte mit Billionenbeträgen päppelt.
Ein frecher, skrupelloser Akt, Arbeitnehmer bzw. potenzielle Rentner für die Rendite privater Unternehmen – Hasardeure, die der Welt 2008 u. a. die internationalen Finanzmarktturbolenzen mit weltweiten Billionenschäden bescherten, wie wir spätestens seit der Lehman-Pleite wissen – in die Pflicht zu nehmen.
Für all das ist der Mustersozialdemokrat Gerhard Schröder hauptverantwortlich, aber für sein eigenes Leben reklamiert er trotzig: “Das ist mein Leben, nicht eures.”
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In Frankreich und den Niederlanden haben die Wähler die nationalen Entsprechungen zur deutschen SPD längst weggejagt.
Admin - 19:30:22 @