2022-10-24

»Drehen Städte an der Steuer-Schraube? So steht Castrop-Rauxel derzeit da«

Lokalredakteur Tobias Weckenbrock hat in der Castrop-Rauxel-Ausgabe der Ruhr Nachrichten vom 20.10.2022 eine gründliche Bestandsaufnahme hinsichtlich der Gemeindefinanzen vorgenommen.

2022-10-20_20_RN_Castrop-Rauxel_-_Drehen Stdte an der Steuer-Schraube_ So steht Castrop-Rauxel derzeit da_50.jpgDie Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die finanzielle Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor angespannt bis katastrophal. Die Kernhaushalte der kreisangehörigen Gemeinden und Ämter waren zum 30. Juni 2021 mit 55,26 Mrd. Euro verschuldet. Die Kassenkreditverschuldung liegt bei 12,1 Mrd. Euro. Das Personal wurde jahrelang aus diesen Kassenkrediten bezahlt. Kassenkredite sind eigentlich nur für einen kurzen Zeitraum vorgesehen, um eine Gemeinde innerhalb eines Jahres vorübergehend liquide zu halten.

Das ist alles nicht neu und es hat Gründe, die nicht nur darin bestehen, dass die Regierungen in Bund und Land den Kommunen kostenintensive Aufgaben ohne finanziellen Ausgleich übertragen haben, z. B. die Grundsicherung im Alter oder zusätzliche gesetzliche Vorgaben im Bereich der Pflege.

Das hat auch und vor allem mit den gigantischen, politisch gewollten, einseitigen Steuergeschenken für Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft durch Steuergesetzesänderungen für die Zeit zwischen 1998 und 2013 in Höhe von ca. 490 Milliarden Euro (Bontrup: Durch Umverteilung von unten nach oben in die Krise, Seiten 15 – 16) zu tun.
Hierfür wurden auch die Gemeinden um 56,00 Milliarden Euro geschröpft. Und genau dieser Betrag (55,26 Mrd. Euro nämlich) fehlt den Gemeinden auch heute noch.

Die politische Verantwortung insgesamt lag von 1998 bis 2005 bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 und bei Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013.

Vor ziemlich genau zehn Jahren gab es in NRW und CAS eine heftige Diskussion um die Zaubermaßnahme mit dem Namen »Stärkungspakt Stadtfinanzen (Stärkungspaktgesetz)«, das die Landesregierung im Dezember 2011 vorgelegt hatte. Die Landesregierung wollte erreichen, dass bis 2021 alle Stärkungspaktkommunen wieder aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Haushalt erwirtschaften.

Unter dem 09.01.2013 teilte uns der Städtetag NRW mit:

»Der Vorsitzende des Städtetages Nordrhein-Westfalen, der Mönchengladbacher Oberbürgermeister Norbert Bude, sagte: “Trotz massiver Sparanstrengungen der Städte hat sich die Finanzkrise vieler Kommunen in NRW in den vergangenen Jahren immer mehr verfestigt. Deshalb ist der Stärkungspakt ein wichtiger Schritt der Landesregierung in die richtige Richtung.” Der Stärkungspakt Stadtfinanzen biete vielen seit Jahren unterfinanzierten Kommunen endlich die Möglichkeit, über einen Zeitraum von 10 Jahren aus eigener Kraft zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen: “Die Aussicht, das jährliche Haushaltsloch eines Tages doch noch schließen zu können, hat in den vergangenen Monaten viele positive Kräfte in den Kommunen freigesetzt.”«Nun, wir sind jetzt zehn Jahre weiter!

Der Westen berichtete am 11.05.2012:

»Die Einschnitte werden hart, soviel ist klar. Das Wohnen verteuert sich, der Service der Verwaltung nimmt ab und durch diesen Sparzwang sinkt gleichzeitig die Attraktivität der Stadt. „Es ist ein Dilemma“, sagt (Bürgermeister, eigene Anmerkung) Beisenherz, „nun geht es darum, das Dilemma möglichst gering zu halten“, (…) fragt aber zugleich: „Was ist, wenn wir über 800 bis 900 Punkte nachdenken und erreichen trotzdem das Ziel nicht?“«Da lag die Grundsteuer B in CAS bei 500 Punkten.

Und es gab Berechnungen der Kämmerei:

»So liegen die Einnahmen der Grundsteuer B in 2012 bei derzeit 500 Punkten bei 9,3 Mio. Die bereits beschlossene Erhöhung auf 525 in 2013 bringt 9,8 Mio. 600 Punkte machen 11,2 Mio, das sogenannte Selmer Modell, die Stadt hat 825 Punkte eingeführt, bringen 16,8 Mio, und bei 1000 Punkten wären es noch einmal 8,8 Mio oben drauf. Was heißt das für den Bürger? Eigentümer eines 100-qm-Einfamilienhauses zahlen zurzeit 314 Euro im Jahr an Grundsteuer B. Bei 525 Punkten sind es 330 Euro, bei 800 Punkten 503 Euro und bei 825 Punkten 518 Euro. Eine 800er Lösung würde also eine zusätzliche Belastung von rund 200 Euro ergeben. Im Monat sind dies 17 bis 18 Euro für den Eigentümer. Die entsprechenden Monatsbeiträge beim Mieter (85 qm Wohnung) würden zwischen 10 und 20 Euro liegen (…) „Wir erfahren Bewunderung durch die Gemeindeprüfungsanstalt.“
Es werde gelobt, „mit welcher Akribie wir daran gehen“. So sollen beim Verwaltungspersonal (1000 Stellen gesamt) zunächst bis 50 Prozent der bis 2021 genau 203 freiwerdende Stellen nicht mehr besetzt werden. Wobei sich die Prozentzahl noch auf 60 erhöhen könnte. Beisenherz „Wir gehen an die Substanz, denn hinter den Stellen verbergen sich Aufgaben.“«

Das beschämende Ergebnis kennen alle: Siehe z.B. das aktuelle Desaster um das Bürgerbüro und die Erreichbarkeit der Stadtverwaltung schlechthin.

Zudem: Zwar konnten die Kassenkredite bis Ende 2020 gegenüber ihrem Höchststand Ende 2015 von rund 51 Milliarden Euro um gut ein Viertel auf 37 Milliarden Euro reduziert werden, aber das zu erreichende Ziel nämlich, dass bis 2021 alle Stärkungspaktkommunen wieder aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Haushalt erwirtschaften können, ist weiterhin meilenweit entfernt.

Ich selbst war zu dem hier infrage stehenden Zeitpunkt für die hiesige Partei DIE LINKE in verschiedenen städtischen Ausschüssen tätig. Mit großer Genugtuung präsentiere ich das Manuskript des damaligen Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE, Ingo Boxhammer, vom 15. November 2012 für seinen Rede-Beitrag im Rat der Stadt Castrop-Rauxel. – Doch was soll’s. All diese Dinge spielen für die beliebigen Zeitgeistpolitikerinnen und -politiker keine Rolle.

Deutschland wird inzwischen autoritativ von einem »Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn« (Wagenknecht) regiert, dem inzwischen auch die Wissler/Schirdewan-LINKE beigetreten ist: Bürgerinnen und Bürger müssen billiger werden – das Geld ist für die Reichen da. – Und diese Gesinnung findet man auf allen politischen Ebenen.

Nils Bettinger (FDP) im Stadtrat Castrop-Rauxel hält dafür ein Standard-Werkzeug bereit: »Reden, die in den Bundestag gehören, stehen uns hier nicht so gut zu Gesicht«

Castrop-Rauxel wurde mit der Zwangsteilnahme am »Stärkungspakt Stadtfinanzen (Stärkungspaktgesetz)«, dass die Landesregierung NRW im Dezember 2011 aufgelegt hatte, beglückt.
Um Geldzuweisungen von beispielsweise 10 EURO zu erhalten, wurde die Stadt gezwungen, selbst 30 EURO an Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu streichen oder zu kürzen oder – hört, hört – Gebühren zu erhöhen. Seither liegt die Grundsteuer B in Castrop-Rauxel bei 825 gegenüber 500 Punkten in 2012.

So ist dann auch die finanzielle Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen – ein Ewigkeitsposten!

Die finanzielle Lage der Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen – ein Armutszeugnis der Politiker, die der Bevölkerung eine Kriese nach der anderen bescheren.

Admin - 17:00:25 @